Erklärung 1 – Es ist immer ein Angriff auf Einzelne, aber gemeint sind wir Alle.

Am Anfang möchten wir uns solidarisch erklären, mit allen Gefangenen und von Repression Betroffenen der G20-Proteste. Es ist immer ein Angriff auf Einzelne, aber gemeint sind wir Alle.

Wenn ich einmal gefragt werde, wo ich gewesen bin, und was ich getan habe, als hunderttausende Menschen durch Krieg, Vertreibung und Hunger zu Flüchtlingen wurden und versuchten Schutz und Zuflucht in Europa zu suchen, werde ich nicht sagen, ich hätte nichts gewusst. Ich habe es gesehen und ich war dabei. Wie die Menschen Anfang 2015 aus dem Bürgerkriegsland Syrien über die Balkanroute nach Europa kamen und Frauen, Kinder und Männer wie Vieh in landwirtschaftlichen Anlagen eingepfercht und festgehalten wurden. Ich war damals in Serbien und in Slowenien und habe für die Menschen gekocht und Essen verteilt. Ich habe gesehen wie tausende Menschen im kalten Herbst ohne ausreichende Anzahl an Zelten in goldene Rettungsfolien eingewickelt, von Hamburger Gittern umzäunt, festgehalten wurden, unter ihnen dutzende junge Mütter mit Kleinkindern, bei unzureichender medizinischer Versorgung und Milch für die Kleinen. Ich habe gesehen, wie die Menschen in Lagern alles Mögliche in Lagerfeuern verbrannten, um etwas Wärme zu erzeugen, während sie im nassen Schlamm hockten, neben Kot und Urin, aufgrund fehlender sanitärer Anlagen. Ich habe auch miterlebt, wie mit allen Mitteln versucht wurde, die humanitäre Hilfe zu behindern und zu verhindern. Durch das Weglassen von sanitären Anlagen, ausreichend Mülleimern und Heizmaterialien wurde ganz bewusst das Bild von dreckigen, Müll produzierenden, alles verbrennenden, unzivilisierten Flüchtlingen forciert und produziert.

Ich war 2015 auch in Heidenau, als die Polizei nicht im Stande oder gewillt war, progromähnliche Angriffe auf ein Flüchtlingsheim zu verhindern. Am nächsten Tag, zur antifaschistischen Demonstration, waren sie dann aber zahlreich anwesend und hatten kein Problem den Schlagstock zu benutzen. Das Nichtkommensehen und Nichtverhindern von rechten Übergriffen und Straftaten auf Geflüchtete passiert der Polizei noch tausend Mal allein im Jahr 2015. Außerdem sind die folgenden Ermittlungserfolge zu rechter Gewalt in Bezug auf Flüchtlingsheime lächerlich. Man beschäftigt lieber einige dieser Gewalttäter im Staatsschutz als V-Männer oder kennt sich noch aus Gladio oder Stay-behind-Strukturen.

Nachdem viele Staaten ihren versprochenen humanitären Hilfszahlungen an die UN nicht nachgekommen sind, wurden 2014 die UN-Hilfsleistungen für die Flüchtlingslager in den Grenzstaaten von Syrien stark gekürzt und teilweise eingestellt. Ein Großteil der geflüchteten Menschen harrte bis dahin in den UN-Lagern aus. In der Hoffnung eines baldigen Ende des Bürgerkrieges und der Möglichkeit in ihre Heimat zurückkehren zu können. Das führte 2015 dazu, dass sich hunderttausende Menschen auf den Weg nach Europa machten. Im Zuge der Schließung der Balkanroute bezahlte daraufhin die EU den damals bereits autokratischen Staatspräsidenten Erdogan, die Grenzen zu schließen und den Flüchtlingsstrom aufzuhalten. Die EU zahlt Erdogan nicht nur für das Zurückhalten der Flüchtlinge, sie schaut ebenso motiviert weg, wie Erdogan seine Herrschaft diktatorisch festigt und vermeintlich europäische Werte mit den Füßen tritt, während die Türkei weiterhin europäische Fördermittel erhält für vermeintliche Beitrittsbestrebungen. Doch die Festung Europa zeigt ihr wahres Gesicht nicht nur an der europäischen Ostgrenze und der nun geschlossenen Balkanroute, sondern auch an den Grenzen im Süden mit den schönen Sandstränden, an denen in den letzten Jahren hunderte tote Menschen angespült wurden. Tausende Menschen sterben mehr, unerhört und ungesehen auf hoher See im Mittelmeer. Alles Menschen – nur mit einer anderen Hautfarbe. Aber mit den gleichen Bedürfnissen nach Sicherheit, Wärme und Zukunft. Denn sie fliehen alle aus ähnlichen Gründen, sie fliehen vor Hunger, Unterdrückung, Verfolgung und Krieg. Auch am Mittelmeer bin ich gewesen und habe die Rettungsschiffe von NGOs zusammen mit anderen Freiwilligen repariert. Ich habe mit Menschen zusammen gelacht, gegessen und gearbeitet, die Menschen in Seenot gerettet haben oder aber manchmal nur noch die toten Körper aus dem Wasser bergen konnten. Die Verantwortlichen für so viel Leid und Sterben, sind nicht die vermeintlichen Schlepper, sie sind nur ein kleiner Teil dieser Maschinerie, sondern die Politiker*innen in den Regierungen und Parlamenten, die eine legale Migration und ein Recht auf Asyl, bei Verfolgung und Hunger, versuchen einzuschränken oder zu verhindern.

Die Flucht von Menschen auf Grund von Krieg ist eine humanitäre Katastrophe, die man mit Solidarität und Menschlichkeit verhindern und bekämpfen muss. Stattdessen werden die Zäune hochgezogen und die Kontrollen erhöht und selbst das zivilgesellschaftliche Engagement zur Seenotrettung kriminalisiert. Die Devise scheint zu sein: lasst sie lieber an den Grenzen erschossen werden, oder im Mittelmeer absaufen, bevor die Menschen – Flüchtlinge –  an unsere Tür klopfen, weil sie Hilfe benötigen. Ich habe mir nichts vorzuwerfen und habe immer getan, was mir möglich war um gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.

Auf die Anklagebank gehören die Anzugträger*innen der Politik, Menschenjäger in Uniform, welche tagtäglich Ausbeutung, Unterdrückung und kapitalistische Produktions- und Verwertungslogik, gefolgt von Krieg, Zerstörung und Elend organisieren, und aufrecht erhalten.

Die Treffen dieser Kriminellen, bei denen die oben genannten Dinge geplant und organisiert werden, müssen von der Zivilgesellschaft gestört und verhindert werden. Auch wenn diese zwanzig Vertreter der reichsten Industrienationen und ihrer Entourage von 32.000 Bullen beschützt und verteidigt werden. Die 32.000 Bullen wurden von Steuergeldern bezahlt und das ausschließlich dafür, um die Teilnehmer von G20 zu schützen und somit ihr Treffen überhaupt erst möglich zu machen. Für die Hamburger Protestierenden oder lediglich Anwesenden gab es nur Entmündigung, Aushebelung der Grundrechte und Repression. Kurzum – Schläge ins Gesicht.

Im Zuge von G20 und danach wird dauernd von Rechtsstraatlichkeit und harten Strafen gesprochen, doch als ich in Hamburg zum G20 war, habe ich keine Rechtsstaatlichkeit sehen können. Ich habe einen Polizeistaat gesehen, welcher die bürgerlichen Grundrechte eingeschränkt und ausgehebelt hat. Und eine Polizei, welche willkürlich als eigene Instanz agierte, ungeachtet davon, was Gerichte als Recht betrachten, so geschehen in Entenwerder. Geschützt und abgenickt wurde dieses Vorgehen durch die Politik, die scheinbar bereit war jeden noch so großen Preis, und sei es ein Menschenleben, zu zahlen, um das Stelldichein der Regierungseliten zu ermöglichen.

Die Aussage von Olaf Scholz, es habe keine Polizeigewalt gegeben, ist bezeichnend dafür, wie weit es von Rechtsstaatlichkeit entfernt ist, wenn ein Politiker, der die politische Verantwortung tragen sollte, dreist in aller Öffentlichkeit lügen kann und als Belohnung eine Beförderung nach Berlin bekommt. – Und das, nachdem er die Bürgerrechte ausgehöhlt hat und eine ganze Stadt als Geisel genommen hat, zusammen mit 32.000 Komplizen, im Interesse einer kleinen Führungselite.

Danke.