Erklärung 3 – Prozesse als Inszenierung

Prozesse als Inszenierung

Über ein Jahr ist es her, dass sich die Vertreter*innen der zwanzig mächtigsten Länder dieser Erde in Hamburg getroffen haben. Wie viele andere Menschen auch habe ich diese Gelegenheit genutzt, um gegen die G20 und die Politik, für die stehen, zu protestieren. Ich möchte an dieser Stelle nicht erklären, warum ich dies getan habe, zum einen weil es von anderer Seite hier heute schon eindrucksvoll geschehen ist (Verweis Prozesserklärung Lucy), zum anderen, weil ich die Tatsache, dass es eben 20 Nationen gibt, die über die Geschicke der restlichen 174 entscheiden, als genügende Erklärung für Protest erachte. Viel mehr möchte ich einige der Entwicklungen betrachten, die ihren Ursprung in diesen Tagen der Machtdemonstration auf der einen, und des Widerstands dagegen auf der anderer Seite haben.

In der größten Öffentlichkeitsfahndung seit bestehen der BRD sucht die Polizei mit Fotos und Videos immer noch nach fast 300 tatverdächtigen Personen. Dieser massive Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, deren Vorverurteilung und Verletzung der Privatssphäre wurde von der Presse eingeleitet, die sich zu Teilen von der Berichterstattung gelöst und zur eigenen strafverfolgenden und richtenden Instanz emporgeschwungenen hat.

Wir haben im Vorfeld an unsere Freund*innen die uns heute bis hierher in den Gerichtssaal begleiten Eintrittskarten ausgegeben. Wir haben dies aus mehreren Gründen getan; zum einen ist offensichtlich dieser Raum zu klein, um allen denjenigen die uns solidarisch begleiten Platz zu geben -diese Plätze sind auch nicht gedacht für Mitarbeiter*innen der ermittelnden Behörden- zum anderen weil diese Eintrittskarten verdeutlichen sollen, dass dieses wie auch andere Verfahren im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G20 Gipfel Inszenierungen sind. So kommt es zu einem Gericht, dass den Forderungen aus der Politik entsprechend mit „aller Konsequenz und Härte“ vermeintliche Straftaten verfolgt, und sich dabei natürlich bei den im Vorfeld geschaffenen Gesetzesänderungen des Paragrafen §113 (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) bedient. In der Vergangenheit reichte es für das Amtsgericht Altona bereits aus, wenn Angeklagte sich bei ihren meist brutalen Verhaftungen in reflexartige Schutzpositionen wie zum Beispiel die Embryonalstellung begaben, um sie dafür wegen Widerstands zu verurteilen.

Ein weiterer häufiger Anklagepunkt in den hier geführten G20 Prozessen ist Landfriedensbruch nach §125. Die Hamburger Gerichte stützen sich dabei oftmals auf die Entscheidung des Bundesgerichtshof vom 1.September 2017 (Az.: 2 StR 414/16), nach der die bloße Teilnahme in einer gewaltausübende Menge schon den Tatbestand des Landfriedensbruchs erfüllt. Beflissentlich ignoriert wird die Ausführung des Bundesgerichtshofes, dass dies jedoch nicht auf die Teilnehmer von Demonstrationen anzuwenden sei.

Die Polizei hat sich außerordentlich bemüht, schon im Vorfeld des Gipfels die Teilnehmer*innen der verschiedenen Demonstrationen und Blockadeaktionen als Störenfriede, Krawallmacher*innen und allesamt primär gewaltbereit zu diffamieren. Die Presse hat diese Einschätzungen teilweise unhinterfragt übernommen, und so dazu beigetragen das Bild einer Bedrohung aufzubauen, die es so niemals gab.

Unverholen gedroht hingegegen hat der Einsatzleiter der Hamburger Polizei, Harmut Dudde, dessen eigenen mittlerweile 5 Prozesse auf Grund gravierender Rechtsbrüche im Amt für ihn völlig ohne Konsequenzen blieben. Und natürlich wurde es komplett ausgepackt, das gesamte der Polizei zur Verfügung stehende Equipment und zusammen mit über 32.000 Polizist*innen kam es zum größten Polizeieinsatz seit bestehen der BRD, einem wahrem Ausbruch an institutioneller Gewalt und individuellem Fehlverhalten und einer letztendlich gigantisch aufgeblasenen Simulation von Kompetenz.

Wenn Olaf Scholz unmittelbar nach dem Gipfel „hofft mit erheblichen Strafen rechnen zu müssen“ ist dies keine Selbstreflexion, sondern der Arbeitsauftrag an die Gerichte eben diese hohen Strafen auch zu verhängen. Während Polizei und Politik gemeinsam die Deutungshoheit über die Geschehnisse für sich beanspruchen, kommt den Gerichten die Rolle zu, diese Lesart mit geeigneten Urteilen zu untermauern. Doch auf welche Beweise stützen sich diese Urteile?

Als Zeug*innen fungieren hauptsächlich Polizeibeamt*innen, die teilweise kostümiert und anonymisiert auftreten, sich in den allermeisten Fällen in ihren Aussagen untereinander abgesprochen haben, teils auf Anweisung von Vorgesetzten, oder die aus Eigeninitiative betreffende, komplette Akten der SoKo „Schwarzer Block“ gesichtet haben. All dies ist vor dem Amtsgericht Altona zu Tage gekommen, und wird von den Polizeibeamt*innen offen und anscheinend ohne moralische Bedenken geäußert. Bedenken ob der Glaubwürdigkeit dieser Zeug*innen sind noch seltener.

Was hier heute beginnt ist meiner Meinung nach ein politischer Prozess, in dessen Verlauf es nicht primär darum gehen wird, zu klären ob und von wem Straftaten begangen wurden, sondern diese vermeintlichen Straftaten zu kontextualiesieren und letztendlich diesen Kontext, also den Protest, zu bestrafen. Dieser Prozess findet vor einem Gericht statt, das bisher während es politische Prozesse gegen Aktivist*innen führte, diesen gleichzeitig eine politische Motivation für ihren Protest absprach. So werden aus Demonstrant*innen „Krawalltouristen“ (Peike), junge Aktivisten als „menschenverachtend“ mit „Anlage und Erziehungsmängel(n)“ (Fabio) eingestuft, und die Anreise zu den Protesten aus dem Ausland mit einem Vorsatz zur Straftat gleichgesetzt (Riccardo). Ich glaube schon lange nicht mehr an den Rechtsstaat. Bei genauerem Hinsehen könnte man meinen, dass dies auf alle der an diesen Prozessen beteiligten Akteuere zutrifft, zumindest verhalten sie sich entsprechend.